Grand Central Hotel, Glasgow: Wo das Fernsehen begann
Grand Central Hotel, Glasgow: Wo das Fernsehen begann

Grand Central Hotel, Glasgow: Wo das Fernsehen begann

Von wegen Bahnhofshotel: Das Grand Central in Glasgow ist vor nicht all zu langer Zeit komplett saniert worden. (c) Grand Central Hotel
Von wegen Bahnhofshotel: Das Grand Central in Glasgow ist vor nicht all zu langer Zeit komplett saniert worden. (c) Grand Central Hotel

Wie viele Fernsehsender können Sie empfangen? 20? 40? 100? Mehr? Im Jahr 1927 wusste die Welt noch nicht, dass es einmal so viele Sender geben würde. Nicht einmal, dass man irgendwann abends um 20 Uhr auf der Couch sitzen würde, um die Nachrichten des Tages auf einem Bildschirm zu schauen. Die Welt ahnte nicht, was “zappen” bedeutet, und auch nicht, dass man einmal Werbepausen nutzen würde, um neue Chips zu holen. Die Welt im Jahr 1927 kannte das Fernsehen noch nicht — denn es war noch gar nicht verfügbar. Dabei sollte ausgerechnet 1927 in dieser Hinsicht zu einem Meilenstein werden. Und nicht ganz unbeteiligt daran war ein Hotel.

Man muss es wohl der engen Bindung des Schotten John Logie Baird zur Stadt Glasgow zuschreiben, dass er ausgerechnet hier im Grand Central Hotel an der Grand Central Station nicht viel weniger als den Grundstein für unseren heutigen Fernsehkonsum legte. Am 24. Mai 1927 gelang es Baird als erstem, Fernsehbilder über eine sehr lange Distanz zu übertragen. Von London aus schickte er Szenen mittels einer Telefonleitung rund 700 Kilometer nach Norden, direkt in ein Zimmer der vierten Etage des Grand Central Hotels. Es war seine Antwort auf eine Nachricht aus den USA, wo nur einen Monat zuvor ein entsprechender Versuch zwischen New York und Washington erfolgreich war — allerdings nur über knapp 400 Kilometer. Der Forscher nahm dies als Ansporn.

Fernsehbilder direkt aus dem Hotel

Baird zeigte, dass Distanzen bei seiner Übertragungstechnik keine Rolle mehr spielten. Am 8. Februar 1928 schickte er erstmals Fernsehbilder über den Atlantik, von London nach New York. Nun benötigte er nicht einmal mehr Telefonleitungen dafür. Die damals noch ausschließlich dem Hörfunk zugeneigte BBC begann kurz darauf mit Versuchssendungen im von Baird entwickelten Verfahren. Allerdings sollte es noch bis zum Jahr 1936 dauern, bis sie ein regelmäßiges Fernsehprogramm sendete.

Das Grand Central Hotel genoss das geschichtsträchtige Ereignis. Es spielte fortan in der Geschichte des Fernsehens eine nicht ganz unbedeutende Rolle. Dabei war es längst selbst zu einer Ikone gewachsen. Der Architekt Robert Rowand Anderson entwarf das Hotel Ende des 19. Jahrhunderts im Queen-Anne-Stil; viele kleine Details in der Fassade und im Inneren zeugen bis heute davon. Als es am 27. Juni 1883 zunächst unter dem Namen The Central Station Hotel eröffnete, war schnell klar, dass ihm in dieser exponierten Lage Glasgows eine fulminante Zukunft bevorstehen würde. Die Stadt florierte, das Eisenbahnzeitalter war in vollem Gang. Überall nutzten die Menschen Züge, um von A nach B zu gelangen. Warum nicht auch gleich am Bahnhof übernachten?

Die Caledonian Railway Company ließ das Hotel mit einer Kapazität für 420 Gäste bauen, und kam damit einem Trend nach, der sich durch ganz Großbritannien zog: Überall ergänzten die damals noch einzelnen eigenständigen Eisenbahngesellschaften ihre aufwendigen Bahnhofsgebäude durch exquisite Hotels. Schnell war klar: Wer etwas auf sich hielt, übernachtete nicht irgendwo; er wählte eines dieser neuen Hotels. John F. Kennedy, Winston Churchill, Stan Laurel und Oliver Hardy, Frank Sinatra — durch das Grand Central Hotel zog sich ein Hauch von Glamour, Kunst und Weltpolitik. Schließlich galt Glasgow in jener Zeit als so etwas wie das London des Nordens.

Niedergang nach dem Zweiten Weltkrieg

Das erforderte immer wieder Erweiterungen: Wie die Central Station selbst, so wurde auch das Hotel 1901 und 1906 auf eine höhere Gästezahl ausgelegt und modernisiert. Doch der Fall der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich beispielhaft auch am Grand Central Hotel: Der Niedergang der Industrie und des Bergbaus im Norden Großbritanniens führte zu einer großflächigen Verarmung der einst so stolzen Stadt. Im Februar 2009 schließlich schloss das Grand Central Hotel seine Pforten. Eine dringend notwendige Sanierung schien nicht mehr rentabel.

Es war die Stunde der britischen Nobelkette PH Hotels. Im Juni 2009 erwarb sie das Hotel, um es schließlich doch grundlegend zu renovieren. Bei den Arbeiten an Deckenverkleidungen und anderem kamen wahre Schätze zum Vorschein — etwa Stuck, Marmorböden und zugebaute Fenster. Insgesamt 20 Millionen Pfund (knapp 28 Millionen Euro) investierte die Hotelkette in ihren Neuzugang. Im September 2010 eröffnete das Grand Central Hotel, wie es begonnen hatte: als eines der luxuriösesten Hotels in Glasgow. 230 Zimmer beinhaltet es nun, und konzentriert sich mit einem Vier-Sterne-Standard nicht mehr nur auf die oberen Zehntausend.

Von John Logie Bairds Fernehtechnik ist heute in Zeiten von Flachbildfernsehgeräten und digitaler Übertragung hingegen nicht mehr viel geblieben. Seine Bedeutung für das Fernsehen insgesamt aber verdeutlicht ein hübsches Andenken: Wenn in Australien einmal im Jahr die großen Fernsehpreise verliehen werden, handelt es sich um die Logie Awards. Michael Pohl

Grand Central Hotel, 99 Gordon Street, Glasgow, Scotland, G1 3SF, Tel. +44 (0) 141 240 3700, www.thegrandcentralhotel.co.uk