Fünf-Sterne-Hotels leben nicht zuletzt von ihrer Diskretion. Wie auch immer sich ein Gast benimmt, was auch immer er für ungewöhnliche Wünsche äußert – es bleibt gemeinhin auf ewig in den vier Wänden des Hotels. Insofern dürfte der 27. Mai 2015 als ein eher dunkler Tag in die Geschichte des Züricher Hotels Baur au Lac eingehen.
Schweizer Kantonspolizisten nahmen an diesem Morgen insgesamt sechs Funktionäre der Fifa in diesem Hotel fest – es war der Beginn des nach heutiger Einschätzung größten Fußballskandals, den die Welt je erlebt hat. Die sechs nach Hinweisen aus den USA Festgenommenen sollen Bestechungsgeld in Millionenhöhe angenommen haben. Und das ganze war offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs, wie sich in den folgenden Wochen und Monaten herausstellen sollte. Auch Fifa-Chef Sepp Blatter konnte sich aufgrund der massiven Vorwürfe nicht mehr länger an seinen Posten klammern, selbst die Fußball-WM 2006, jenes Sommermärchen, für das Deutschland in aller Welt gefeiert wurde, geriet plötzlich unter Korruptionsverdacht.
Das Baur au Lac wurde quasi über Nacht für Fußballfans in aller Welt ein Begriff – selbst jene, die sich hier niemals eine Nacht würden leisten können. Die Bilder von Polizisten, die einen Verdächtigen hinter einer Tischdecke verdeckt abführten gingen ebenso um die Welt, wie jene von einem weiß-roten Polizeiwagen vor dem Gebäude, im Hintergrund gut sichtbar der Schriftzug “Baur au Lac”. Dabei sagen die Bilder im Wesentlichen eines aus: Die betreffenden Fifa-Funktionäre haben zumindest bei der Wahl ihrer Herberge Stil bewiesen. Das Baur au Lac am Bürkliplatz, fast unmittelbar am Zürichsee gelegen, gilt als eines der besten Hotels Europas.
Der Österreicher Johannes Baur eröffnete das Haus 1844 als Zweithotel neben seinem Baur en Ville. Zu jener Zeit spielte sich das Leben etwas entfernt im Stadtzentrum ab, sodass Gäste im Baur au Lac vor allem eines genießen konnten: Ruhe und Abgeschiedenheit. Wer inkognito reisen wollte, kehrte fortan hier ein. Und das taten immer mehr: König Ludwig I. von Bayern, Kaiserin Elisabeth von Österreich, Künstler, Schriftsteller und Filmgrößen wie Marc Chagall, Thomas Mann und Alfred Hitchcock — sie alle standen hier am Zürichsee früher oder später auf der Gästeliste. Richard Wagner feierte am 22. Oktober 1856 im Baur au Lac die Welturaufführung des ersten Akts seiner Walküre. Und 1892 soll Freifrau Bertha von Suttner hier im Hotel gar den schwedischen Industriellen Alfred Nobel von der Notwendigkeit eines Friedensnobelpreises überzeugt haben.
Bereits 1852 hatte Johannes Baur die Leitung des Hotels an seinen Sohn Theodor übergeben. Und wie sein Vater stellte auch dieser die höchsten Ansprüche an exzellenten Service und versuchte stets, mit dem Fortschritt mitzuhalten. Noch im ersten Jahr unter seiner Führung etwa führte das Baur au Lac ein Telegrammbüro ein. Während früher der bis unter das Dach reichende Speiseaufzug als Besonderheit galt, ist es inzwischen eher die Tatsache, dass das Haus über eine eigene Autowerkstatt mit Tankstelle verfügt. Vom Fitnessclub aus hat man einen wunderbaren Blick auf Zürichsee und Berge.
Bemerkenswert allerdings ist vor allem eines: Das Baur au Lac befindet sich bis heute im Besitz der Gründerfamilie, inzwischen in sechster Generation. Es verfügt heute über 120 Zimmer, darunter 18 Suiten und 27 Juniorsuiten. Und was auch immer beim Fifa-Skandal noch zutage tritt — im Baur au Lac darf man sich zurücklehnen. Schließlich kann man hier zufrieden auf eine üppige Zahl an Stammgästen blicken. Wer einmal hier war, der wird auch wiederkommen. Das ist heute genauso so wie zu Eröffnungszeiten Mitte des 19. Jahrhunderts. Einer von vielen Punkten, der die Tradition dieses Hauses zeigt. Michael Pohl
Baur au Lac, Talstrasse 1, 8001 Zürich, Schweiz, Telefon:+41 44 220 50 20, www.bauraulac.ch